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01.02.2016 12:31 Alter: 8 yrs
Kategorie: 5-2015, Soziale Verantwortung

Ein Jahr Mindestlohn hat zu mehr regulärer Beschäftigung geführt

Der gesetzliche Mindestlohn ist nach wie vor umstritten ? auch und gerade in der Debatte um die Beschäftigung von Immigranten. Doch die Zwischenbilanz nach knapp einem Jahr sieht gut aus: Unter dem Strich gibt es keine negativen Arbeitsmarkteffekte.


Im Gegenteil: Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist spürbar gestiegen, und zwar gerade in traditionellen Niedriglohnbranchen. So lag etwa im Gastgewerbe die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im September 2015 um 6,5 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Zurückgegangen ist lediglich die Zahl oft sehr niedrig bezahlter und schlecht abgesicherter Minijobs. Das dürfte aber zum Teil daran liegen, dass diese Arbeitsverhältnisse in reguläre Stellen umgewandelt wurden. Das zeigen die Daten aus der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit, die das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung ausgewertet hat.

Die aktuellen Zahlen scheinen zu bestätigen, dass der Mindestlohn entgegen der vorherigen Warnungen nicht etwa massenhaft Arbeitsplätze gefährdet, sondern mit seiner Einführung sogar ein zusätzlicher Kaufkraftgewinn entstanden ist, der die Inlandsnachfrage gestärkt und damit die Entstehung neuer Beschäftigung gefördert hat, so die Wissenschaftlerinnnen des WSI. Spürbare Zuwächse bei der Kaufkraft gerade weniger qualifizierter Arbeitnehmer hatte unter anderem die Bundesbank in einer Analyse dokumentiert. Daher seien neue Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge nicht sinnvoll, so die WSI-Experten. In einem Standpunkt hatte schon future-Vorstand Winfried Eismann die Debatte um die Absenkung und Aussetzung des Mindestlohns für Migranten bedauert.

Das unterstreicht auch Prof. Dr. Gustav A. Horn. ?Hinter der Behauptung, dass die Flüchtlinge nur mit einem abgesenkten oder gar ausgesetzten Mindestlohn in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten, steht eine verengte Sichtweise, die Beschäftigungsmöglichkeiten allein bei hinreichend niedrigen Löhnen sieht?, sagt der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. ?Tatsächlich sind andere Faktoren dominierender, wie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage als überragende Determinante der Beschäftigung. Und die wird dadurch gestärkt, dass der Mindestlohn einen Sog nach unten bei der Bezahlung verhindert. Die Untergrenze stützt damit unsere Wirtschaft. Aber dazu muss sie für alle gelten.?

Nach den aktuellen BA-Zahlen, die die Entwicklung bis Ende September erfassen, sind deutschlandweit im Vergleich zum Vorjahr knapp 688.000 sozialversicherungspflichtige Stellen neu entstanden. Das entspricht einem Zuwachs von 2,2 Prozent. Den prozentual größten Anstieg weist mit dem Gastgewerbe eine ?klassische Niedriglohnbranche? auf, so WSI-Experte Dr. Thorsten Schulten. Auch bei der Leiharbeit, den ?sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen?, zu denen beispielsweise Wachdienste, Gebäudereinigung und Callcenter gehören, im Sozialwesen und im Bereich Verkehr und Lagerei hat die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überdurchschnittlich zugelegt, obwohl der Mindestlohn vielen Arbeitnehmern in diesen Branchen Gehaltssteigerungen beschert haben dürfte. In den einzigen Wirtschaftszweigen mit Arbeitsplatzverlusten ? Finanzdienstleistungen und Energiewirtschaft ? spielen Niedriglöhne dagegen kaum eine Rolle. ?Bei der Entwicklung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse lassen sich demnach bislang keinerlei negativen Effekte des Mindestlohns nachweisen?, urteilt der Arbeitsmarktexperte.

Gleichzeitig gesunken ist die Zahl der Minijobs: Laut BA hat die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zwischen September 2014 und September 2015 um 128.300 abgenommen, das entspricht einem Rückgang um 1,7 Prozent. Allerdings sei dieser nicht einfach mit Arbeitsplatzverlusten gleichzusetzen, betont Schulten. Es sei gut möglich, dass ein erheblicher Teil der ehemaligen Minijobs in reguläre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt wurde. Dafür spreche die deutliche Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Stellen in Branchen wie dem Gastgewerbe, dem Handel oder den ?sonstigen Dienstleistungen?. Allein in diesen drei Bereichen, in denen traditionell Minijobs weit verbreitet sind, entstanden zwischen September 2014 und September 2015 rund 215.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Stellen.

In einer aktuellen Analyse vom Januar kommen die WSI-Experten zu dem Schluss, dass der gesetzliche Mindestlohn Millionen Beschäftigten nutzt und vor allem in den klassischen Niedriglohnbranchen zu Zuwächsen in den Verdiensten geführt hat. Potenziell betroffen seien nach Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zwischen 4,8 und 5,4 Millionen Beschäftigte, die im Jahr 2014 noch einen geringeren Stundenlohn als 8,50 Euro hatten.

2015 sind die Bruttostundenlöhne von Voll- und Teilzeitbeschäftigten gestiegen, im dritten Quartal um 2,0 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. In Ostdeutschland lag die Steigerung im Schnitt sogar bei 3,6 Prozent, in Westdeutschland bei 1,7 Prozent. Die stärksten Zuwächse erzielten ungelernte Frauen in Ostdeutschland mit 8,5 Prozent, bei Männern der gleichen Gruppe gab es ein Plus von 8,0 Prozent.

Vor allem in Dienstleistungsberufen hat sich die Bezahlung verbessert: Der ostdeutsche Einzelhandel, das Gastgewerbe, die Wach- und Sicherheitsdienste und ?sonstige personennahen Dienstleistungen?, zu denen etwa Wäschereien und Frisöre gehören, verzeichneten kräftige Steigerungen. Im Gastgewerbe, das vom Mindestlohn am stärksten betroffen ist, stiegen die Verdienste um 2,9 Prozent, in Ostdeutschland sogar um 8,6 Prozent. Innerhalb des produzierenden Gewerbes wurde in der Fleischverarbeitung bis zum dritten Quartal ein Zuwachs von insgesamt 5,6 Prozent erreicht.

Die von vielen Ökonomen prognostizierten Jobverluste sind ausgeblieben, zeigt die WSI-Analyse. Die Beschäftigung hat im Gegenteil kontinuierlich zugenommen. Im Oktober 2015 gab es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 713.000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigte als im gleichen Monat des Vorjahres. Dies entspricht einem Zuwachs von 2,3 Prozent. In Ostdeutschland fiel das Plus mit 1,9 Prozent leicht geringer als in Westdeutschland mit 2,4 Prozent aus.

Quelle: WSI