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28.11.2014 16:13 Alter: 9 yrs
Kategorie: 5-2014, Soziale Verantwortung

Flexibilisierung der Arbeitszeiten ist nicht immer im Interesse der Beschäftigten

Die Arbeitszeiten in Deutschland haben sich verändert. Das alte 9-to-5-Modell ist nahezu abgelöst, heute wird weniger, heterogener und flexibler gearbeitet ? dennoch ist das nicht immer etwas zum Wohle der Beschäftigten, so das Ergebnis einer neuen Studie.


Um 9 zur Arbeit, um 12 Mittag, um 17 Uhr Feierabend ? so sieht nach immer noch gängigen Vorstellungen ein typischer Arbeitstag aus. Doch das Standard- droht zum Auslaufmodell zu werden: Mehr Beschäftigte, vor allem Frauen, arbeiten laut einer Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Teilzeit, im Schichtdienst oder auf Abruf. Demnach haben kürzere Arbeitszeiten in der Vergangenheit dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu sichern. Die gleichzeitige Flexibilisierung wirke jedoch durchaus ambivalent: Einerseits hat sie etwa in der Wirtschaftskrise über Arbeitszeitkonten den Erhalt von Beschäftigung ermöglicht, andererseits hat sie teilweise zu prekärer Beschäftigung, mehr Leistungsdruck und zur Aufhebung der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben geführt. Eine moderne Arbeitszeitpolitik, so die Autoren, sollte geschlechtergerechte und selbstbestimmte Arbeitszeiten fördern und Regelungen durchsetzen, die von Anforderungen des Arbeitgebers nicht einfach unterlaufen werden können. Ein Bündnis der wichtigen Akteure der Arbeitszeitpolitik wie Tarifparteien, Gesetzgeber, betriebliche Interessenvertretungen und Personalleitungen könnte die Durchsetzungschancen einer solchen Politik erhöhen.

Die Fakten: Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit ist zwischen 1992 und 2012 von 38,1 auf 35,5 Stunden gesunken. Dafür hat sich die Teilzeitquote fast verdoppelt und beträgt mittlerweile 27 Prozent. In erster Linie sind Frauen von dieser Entwicklung betroffen. Vollzeitbeschäftigte arbeiten mit 41,9 Stunden pro Woche annähernd genauso lange wie vor zwanzig Jahren. Dabei unterliegt die Lage der Arbeitszeiten einem erkennbaren Wandel: ?Die einschichtige Normalarbeitszeit an den Tagen Montag bis Freitag erodiert, die Arbeitszeit dringt immer häufiger in das Wochenende hinein?, stellen die Wissenschaftler fest. Über die Hälfte aller Beschäftigten arbeite zumindest hin und wieder nachts, im Schichtsystem oder am Wochenende.

Trotz der Abnahme der durchschnittlichen Arbeitszeitdauer lag laut der WSI-Studie das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen 2012 in etwa auf dem Niveau von 1995. Der Grund: Die Zahl der Erwerbstätigen ist in diesem Zeitraum von 37,7 auf 41,6 Millionen gestiegen. Die Beschäftigungsexpansion sei also wesentlich auf Arbeitsumverteilung zurückzuführen, folgern die Experten. Insbesondere wenn man berücksichtige, dass das Arbeitsangebot durch die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen und durch Einwanderung deutlich größer geworden ist, bleibe die Verkürzung der durchschnittlichen Arbeitszeit die einzige Erklärung für den Rückgang der Arbeitslosigkeit.

Auf betrieblicher Ebene beobachten die WSI-Experten zunehmenden Leistungsdruck. Laut dem DGB-Index Gute Arbeit haben mittlerweile 60 Prozent der Beschäftigten den Eindruck, dass sie immer mehr Arbeit in der gleichen Zeit schaffen müssen. Fast ein Viertel ist außerhalb der normalen Arbeitszeit telefonisch oder per E-Mail erreichbar. Infolgedessen kommt es bei 37 Prozent dieser Beschäftigten zu unbezahlter Mehrarbeit. Verschärft werde diese Entwicklung durch den Trend zu ergebnisorientierten Formen der Leistungssteuerung wie Umsatzvorgaben, kennziffernorientierten Zielvereinbarungen oder Projektarbeit. Nach Ansicht der Forscher führen solche Arrangements zu einer ?Intensivierung und Extensivierung der Arbeitszeit?. So berichten 37 Prozent der Teilnehmer der WSI- Betriebsrätebefragung, dass ihre Kollegen zum Teil länger als zehn Stunden am Tag arbeiten müssen. Wenn Zielvorgaben zum Einsatz kommen, sind es 47 Prozent. Dass Arbeitnehmer Regelungen zum Schutz ihrer Gesundheit unterlaufen, passiert in 34 Prozent der Betriebe ohne und in 41 Prozent der Betriebe mit Zielvereinbarungen. In einem Viertel dieser Betriebe kommt es vor, dass Beschäftigte krank zur Arbeit kommen, bei den übrigen sind es 22 Prozent.

Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der weiblichen Beschäftigten ging nach den Berechnungen des WSI zwischen 1992 und 2012 von 34 auf 30,5 Stunden zurück, die der männlichen von 41,8 auf 39,8. Dabei spielt Teilzeitarbeit die entscheidende Rolle. Infolgedessen vergrößerte sich die Arbeitszeitkluft zwischen Frauen und Männern von 7,8 auf 9 Stunden. Diese Differenz sei eine der größten in Europa, so die WSI- Forscher. Problematisch sei das vor allem deshalb, weil Arbeitszeiten zusammen mit dem Lohnniveau darüber bestimmen, ob Beschäftigte von ihrer Erwerbstätigkeit leben können und ob sie bei Krankheit, Arbeitslosigkeit oder im Alter ausreichend abgesichert sind. Die Wissenschaftler empfehlen mehr Anreize für eine gerechte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, beispielsweise die Förderung einer subventionierten ?Familienarbeitszeit?. Darüber hinaus gelte es, die Zeitsouveränität der Beschäftigten zu erweitern, etwa durch ein Recht für Teilzeitbeschäftigte auf Rückkehr zur Vollzeit oder einen Anspruch auf flexible Verteilung der Arbeitszeit. Dagegen sollten Fehlanreize wie das Ehegatten-Splitting oder die abgaberechtliche Privilegierung von Minijobs beseitigt werden. Wichtig sind aus Sicht der Forscher überdies Arbeitszeitoptionen, die sich an den wechselnden Bedürfnissen im Lebenslauf orientieren.

 

Nadine Absenger u.a.: Arbeitszeiten in Deutschland: Entwicklungstendenzen und Herausforderungen für eine moderne Arbeitszeitpolitik, WSI Report Nr. 19, November 2014.