future-Standpunkt zur Situation der Geflüchteten in Deutschland

Vielfalt statt fragwürdige Wirtschaftsweisheit

Standpunkt von future-Vorstand Winfried Eismann zu Flüchtlingen und Integration im November 2015

Flüchtlinge benötigen Schutz. Sie sind vor Unterdrückung, Terror oder Krieg geflohen, kommen Hilfe suchend zu uns, in eines der reichsten Länder auf diesem Planeten, und sollten unseren Wertvorstellungen entsprechend behandelt werden. Das heißt ? ohne Moral und Ethik bemühen zu müssen ? auch für sie gelten unsere rechtstaatlichen Grundsätze. Anders ausgedrückt: Sie haben einen Rechtsanspruch auf Asyl. Dies in dieser Deutlichkeit öffentlich konstatiert zu haben, ist sicherlich das herausragende Verdienst von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dabei steht nicht die Nützlichkeit des Asylsuchenden für die deutsche Volkswirtschaft zur Diskussion, sondern seine Notlage. Ist er verfolgt im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des Grundgesetzes, so genießt er nach Prüfung seines Falls Asylrecht.

Doch so wichtig die Betonung dieses Grundsatzes ist, sie reicht in diesen Tagen nicht aus, um die Fragwürdigkeit mancher Expertenmeinung zu verdeutlichen. Dies gilt beispielsweise für die derzeit von verschiedenen Wirtschaftswissenschaftlern vorgetragenen Überlegungen zur wirtschaftlichen Bedeutung ?der? Flüchtlinge. Zunächst ist ihre Aufnahme auch in großer Zahl für die deutsche Volkswirtschaft zu verkraften, so sehen es jedenfalls die so genannten Wirtschaftsweisen in ihrem soeben vorgestellten Jahresgutachten zur wirtschaftlichen Lage. Wie schon der Chef des Münchner ifo-Instituts, Professor Hans-Werner Sinn, haben auch sie den gesetzlichen Mindestlohn im Blick, wenn es um die Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt geht. Während Sinn, der sich schon vor deren Einführung gegen eine gesetzliche Lohnuntergrenze ausgesprochen hatte, jetzt die Notwendigkeit sieht, Jobs zu geringeren Löhnen anzubieten, sprechen sich Professor Christoph Schmidt und Kollegen dafür aus, den Mindestlohn bei 8,50 Euro zu belassen und ihn ?keinesfalls? zu erhöhen. So unterschiedlich diese Positionen zunächst lesen, bei eingehender Betrachtung nähern sie sich deutlich an: Die Mindestlohnregelung sieht eine wichtige Ausnahme vor: Langzeitarbeitslose können sechs Monate lang auch zu niedrigeren Löhnen beschäftigt werden. Hier setzen die ?Wirtschaftsweisen? an: Nach ihrer Anerkennung als Asylberechtigte sollen Flüchtlinge sofort als Langzeitarbeitslose gelten. Zudem soll die Ausnahmeregelung für diese Personengruppe nicht nur sechs Monate lang greifen, sondern auf zwölf ausgedehnt werden. Soweit, so pauschal, so fragwürdig.

Demgegenüber bleibt festzuhalten: Nicht jeder Flüchtling, der nach Deutschland kommt, ist zwangsläufig in seinem Heimatland arbeitslos oder arm gewesen. Es sind auch hochqualifizierte Menschen, die bei uns Asyl suchen: Ärzte, Informatiker, Professoren. Alle Asylberechtigten sollten entsprechend ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten in den Arbeitsmarkt integriert werden ? zu angemessenen Löhnen nach dem alten Grundsatz: ?Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!?

Damit die Integration stattfinden kann, muss möglichst früh der Start gemacht werden. Das heißt vor allem, dass die Anerkennungsverfahren schneller durchgeführt werden müssen. Denn erst nach geklärtem Aufenthaltsstatus ist die Arbeitsaufnahme möglich. Erst dann macht die berufliche Qualifizierung und Eingliederung Sinn.

Zwar gibt es gute Ansätze, die Situation zu verbessern, aber die Umsetzung dauert zu lange. In einem Treffen von lokalen Industrievertretern mit dem Oberbürgermeister in Münster wurden zum Beispiel viele ganz konkrete Angebote der Betriebe auf den Tisch gelegt. In anderen Städten wird das nicht anders sein. Diese Angebote können aber nicht wahrgenommen werden, weil die Asylsuchenden mindestens drei Monate und längstens bis zu ihrer Anerkennung nicht arbeiten dürfen ? was oft Jahre dauern kann. Um diese Prozesse zu beschleunigen, reicht es nicht, die Gesetze zu ändern. Notwendig ist auch eine stärkere personelle Ausstattung der zuständigen Behörden und Verwaltungen. So entsteht auch wieder wirtschaftliche Dynamik: Einwanderung und Integration schaffen Jobs, Konsum und Steuereinnahmen. Nachhaltig ist die eher als Notfallprogramm zu bezeichnende aktuelle Vorgehensweise der Bundesregierung nicht, stattdessen erzeugt sie Frust bei den Ankommenden, die lange Zeit zum Nichtstun verurteilt werden und Frust bei den Hilfsbereiten, die diesem nur zusehen können.

Wie gut diese berufliche Integration ist, zeigen bereits die Unternehmen, die bewusst das Miteinander der verschiedenen Ethnien, Religionen und Nationalitäten ihrer Beschäftigten fördern und nutzen. Sie profitieren von der Vielfalt im Unternehmen, sind kreativer und innovativer. Das heißt nicht, dass es keine Konflikte gibt, diese sind vorhanden und es kommt darauf an, sie mit klarer Orientierung für eine offene Gesellschaft, die keine Diskriminierung zulässt, zu lösen. Dabei kann Deutschland durchaus aus der eigenen Geschichte lernen. Nach dem zweiten Weltkrieg ist es immerhin gelungen, einen Flüchtlingsstrom zu integrieren, der weit größere Ausmaße hatte, als der momentan diskutierte. Rund 12 Millionen Menschen Flüchtlinge oder Vertriebene fanden Aufnahme in beiden deutschen Nachkriegsstaaten ? davon allein 1,7 Millionen in Bayern.

Schließlich sollten wir wachsende Migration als Tatsache des 21. Jahrhunderts anerkennen, das empfiehlt auch das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik ? nicht nur vor dem Hintergrund des Klimawandels. Unter den Ökonomen ist es Konsens, dass die Wirtschaft im Allgemeinen von den Einwanderern profitiert ? wenn entsprechende Regelungen getroffen werden. Dazu gehören nicht nur eine Beschleunigung der Anerkennungsverfahren und der Integration in die Arbeitswelt, sondern auch mehr Solidarität und Verantwortung innerhalb der Länder der Europäischen Union. Das sind Forderungen, die nur die Politik erfüllen kann.

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