Keine Angst vor der Bürgerbeteiligung

Auch wenn die Einzelheiten sicher noch weiterer Diskussionen bedürfen, die Energiewende ist eingeleitet. Deutschland setzt ein weltweit beachtetes Signal und leitet den Umbau der Energiewirtschaft ein, die langfristig nur noch auf Sonnenenergie sowie Wind- und Wasserkraft beruhen wird. Neben dem großen Aufwand, den dies unmittelbar beim Kraftwerksbau bedeutet, sind auch erhebliche Investitionen in den Netzausbau erforderlich. Zu den Windkraftanlagen, die schon heute manche Bürgerinitiative auf den Plan rufen, werden diverse Baumaßnahmen für neue Stromtrassen auf den Widerstand von Bürgern und Interessengruppen vor Ort treffen.

 

Wie berechtigt die Bedenken der Bürgerinnen und Bürger sind, wird sich im Einzelfall zeigen müssen. Sie sollten jedenfalls nicht bereits im Vorfeld als lästiges Hindernis für die Umsetzung des Energiekonzepts der Bundesregierung angesehen und diskreditiert werden. Der Aufbruch in das postfossile (und postnukleare) Energiezeitalter sollte als Chance genutzt werden, die Kraft der demokratischen Teilhabe zu unterstreichen und damit weiterzuentwickeln. ?Im Unterschied zu bestehenden Planungs- und Genehmigungsverfahren sollte die Öffentlichkeit über die für den Klimaschutz und für die Energiewende wesentlichen Vorhaben zum frühest möglichen Zeitpunkt informiert und aktiv in den Planungs- und Zulassungsprozess einbezogen werden,? stellt beispielsweise der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen (WBGU), der die Regierung berät, in seinem aktuellen Gutachten ?Welt im Wandel - Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation? fest.

Wie die jetzt vorliegenden Gesetzesinitiativen dazu, insbesondere das NABEG, zeigen, hat die Bundesregierung noch keine Balance zwischen dem Wunsch nach Verfahrensbeschleunigung auf der einen und eingehender Bürgerbeteiligung auf der anderen Seite gefunden. Wichtige, überregionale Stromtrassen werden künftig mit einem neuen, bundesweiten Planungsverfahren umgesetzt. Nicht mehr die Bundesländer organisieren dies, sondern die Bundesnetzagentur. Bürger und Umweltschutzverbände haben die Möglichkeit, mit Einwendungen und Widersprüchen in das Verfahren einzugreifen. Auch alternative Trassen, die andere Wege durchs Land nehmen, als von den Betreiberfirmen vorgeschlagen, sollen diskutiert werden. Die Bundesregierung erweitert also durchaus die Beteiligungsmöglichkeiten für die Öffentlichkeit im Vergleich zu heute üblichen Verfahren. Dennoch bleibt ein altes Dilemma bestehen: Verfahrensbeschleunigung steht in der Regel im Widerspruch zur eingehenden Bürgerbeteiligung, die ihre Zeit braucht. Angesichts der so große Räume betreffenden Planungen ist mit einer großen Zahl von Einwendungen zu rechnen und für deren sorgfältige Einbeziehung sind die vorgesehenen Verfahrenszeiten (in der Regel sechs Monate) zu knapp bemessen.

Wenn die Bürgerbeteiligung dazu führen soll, dass der Sachverstand von Anwohnern, Bürgern und Interessenverbänden tatsächlich zu einer Verbesserung der Planungen genutzt wird, muss für die Auseinandersetzung ausreichend Zeit sein. Auch sollten Vorschläge einbezogen werden, die eine laufende Begleitung des Planungsprozesse durch Bürgerinnen und Bürger ermöglicht, beispielsweise in einem Bürger-Beirat. Von dieser Art der Bürgermitwirkung ist in den bisherigen Gesetzesinitiativen zum Leitungsausbau nichts zu finden. Dies noch zu ändern, würde die allgegenwärtigen Bekenntnisse, für mehr Bürgerbeteiligung sorgen zu wollen, mit neuer Glaubwürdigkeit versehen ? mit Gewinnern auf allen Seiten: Die Demokratie würde gestärkt und der Klimaschutz bekommt die nötige Durchschlagskraft.

Was aus meiner Sicht zudem die Akzeptanz von unpopulären Maßnahmen um den eigenen Kirchturm herum fördern könnte, wäre die Übersicht über alle nationalen Planungen für die Umstrukturierung der Energieversorgung. Ein ?Masterplan?, in dem neu zu erstellende Energieanlagen, Leitungstrassen und Einrichtungen zur Speicherung zusammengefasst würden, könnte eine solche Basis für rationale Auseinandersetzungen um den besten Weg zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft bieten. Allein um dem ?Sankt-Florians-Prinzip? gleich jede Kraft zu nehmen, wäre die Bundesregierung gut beraten, einen solchen Masterplan vorzulegen, bevor strukturelle Planungen lokal angestoßen werden.

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